Das Open Place und seine Nachbarschaft

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Zum zweiten Mal arbeitet das Open Place mit der Hochschule für Technik und Gestaltung Konstanz sowie der Universität Zürich zusammen. Der Wissenschaftsverbund Bodensee hat noch einmal Geld für ein studentisches Projekt bewilligt. Stand beim ersten Projekt die Neugestaltung des Kirchenraums im Zentrum geht es nunmehr um das Verhältnis des Open Place zu seiner baulichen und sozialen Umgebung.
Albert Kümmel-Schnur,
Es geht dabei um nicht weniger als die Frage nach dem Ort, den Kirche heute im Gefüge sich immer tiefer spaltender Gesellschaften spielt, spielen kann und spielen will. Zwar stehen Gotteshäuser in vielen europäischen Städten und Dörfern nach wie vor im Zentrum der Altstädte und sind oft auch beliebte touristische Sehenswürdigkeiten. Doch entspricht diese architektonische Positionierung schon lang nicht mehr ein adäquater Ort im gesellschaftlichen Leben. Das christliche Sinnangebot ist nurmehr eines unter vielen. Populistische Phrasen zersetzen die Vorstellung eines guten Gemeinwesens; autokratische Regimes zerstören seine Praxis.

Der Liedermacher Wolf Biermann brachte den Appellcharakter dieser Situation auf den Begriff: "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu." Kirche, heisst das, muss heute ganz anders gelebt werden, als noch vor fünfzig Jahren üblich, um ihre Botschaft und die mit ihr verknüpften Werte glaubwürdig zu vermitteln. Seit 10 Jahren nunmehr übt das Open Place diesen Wandel ein. Architekturstudierende der HTWG unter Leitung ihrer Professorin Myriam Gautschi entwickelten gemeinsam mit dem Open Place Formen, den Innenraum der Kirche den Anforderungen solcher dynamischer Wandlungsprozesse gemäss neu zu gestalten.

Im Folgeprojekt soll das nachbarschaftliche Gefüge in den Blick kommen: dazu zählen das Schulzentrum Seetal, die angrenzenden Wohngebiete ebenso wie die Öffnung des alten Chogenbaches. Wie wird aus einem unvermeidbaren Nebeneinander ein gutes Miteinander? Wie vermittelt man die Bedürfnisse von Gemeindemitgliedern, Schülerinnen und Schülern, der Anwohner:innenschaft, den umgebenden Verkehrsströmen und den auch das zur Kirche gehörige Grundstück überquerenden Passantinnen und Passanten? Welche Abgrenzungen voneinander, welche Öffnungen füreinander braucht es?

Teil des Projektes soll auch der Friedhof sein - auch die Verstorbenen sind Teil der Gemeinschaft und insbesondere die unmittelbare Grenze von Friedhof und Spielplatz bedarf einer Ausgestaltung, die beiden Seiten gerecht wird.

Der Leiter des Schulzentrums, Sebastian Schaad, möchte deshalb von Anfang an bei der Neugestaltung dabei sein. Gemeinsam mit Myriam Gautschi plant er einen Tag, an dem Architekturstudierende und Schülerinnen und Schüler Gestaltungsideen in Modellen konkretisieren und visualisieren sollen.

Auch die theologische Fakultät der Universität Zürich, die bereits im ersten Projekt mitgearbeitet hat, wird eine grössere Rolle spielen. Prof. Dr. Christoph Sigrist, der die Forschungsstelle Urbane Theologie an der Universität Zürich leitet, wird schon im April den Studierenden der HTWG theologische Rahmenbedingungen des Entwickelns von Kirchenprojekten im städtischen Gefüge nahebringen. Umgekehrt werden die Architekturstudierenden ihre Ideen und Pläne zu Ende des Sommersemesters in Zürich vorstellen und so den Staffelstab übergeben für eine Veranstaltung der Universität Zürich im Wintersemester, bei der Theologiestudierende die architektonischen Entwürfe in ihrer Funktion auf diakonisches Arbeiten reflektieren und weiterdenken. Gemeinsam mit Christoph Sigrist wird Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie, diese Veranstaltung leiten. Für den Nikolaustag ist ein Besuch der Zürcher Studierenden in Kurzrickenbach geplant.

Ambitionierte Projekte wie dieses entstehen nicht im leeren Raum völlig freien Experimentierens. Sie ordnen sich ein in einen Strom des Neudenkens kirchlicher Räume. Ein herausragendes Beispiel ist das Benediktinerkloster Disentis in Graubünden. An barocke Gebäude, die z.T. für Gäste vollständig neu gestaltet wurden, schliesst sich der Sichtbetonbau des von Hermann Baur 1969 - 73 realisierten Gymnasiums an. In den Jahren 2001 bis 2004 entstand unter Leitung des Architekten Gion A. Caminada ein Neubau des Mädcheninternats. Man kann in Disentis beobachten, wie ein grosser kirchlicher Gebäudekomplex über eine lange Zeitspanne architektonisch immer wieder neu definiert wurde - für sich selbst und für die Umgebung, in der er steht.

Bereits zu einem frühen Projektzeitpunkt wird eine Gruppe aus Seminarteilnehmenden und Open Place-Mitarbeiter:innen sich auf den Weg nach Graubünden machen, um sich von den Entwicklungen in Disentis inspirieren zu lassen.

Man darf gespannt sein, welchen Weg das Projekt nehmen wird - zu Semesterende im Sommer wird ein Nachbarschaftsfest die Ideen öffentlich machen.